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  • AutorenbildMarith Vinzenz

Traurig, aber wahr ... Warum kennen wir nur so wenige historische Schriftstellerinnen?

Eigentlich gibt es nichts Langweiligeres als Statistiken und Zahlen, besonders für diejenigen, die sich nur für die hohe Kunst, Hochkultur und im Besonderen für Literatur interessieren. - Also für mich! - Jedenfalls dachte ich das, bis ich eines Tages (vor langer Zeit schon) das Lexikon von Elisabeth Friedrichs über die deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 18. und 19. Jahrhunderts aus dem Jahr 1981 aufschlug und das Vorwort las. Darin beschrieb sie ihre Recherche für über 4000 Schriftstellerinnen (Seite VII)! 

Ich brauchte damals mehrere Wochen, um mit dieser Tatsache umgehen zu können, denn ich hatte gerade einen Magisterabschluss in Literaturwissenschaften gemacht und kannte vielleicht gerade einmal 3 Schriftstellerinnen aus dem Zeitraum. Ich war in meiner Gutgläubigkeit davon ausgegangen, dass es eben so gut wie keine Schriftstellerinnen in jenen Epochen gegeben hatte und wir deswegen nur über Schriftsteller im Studium gelernt hatten. Wer stellt die überlieferte Literaturgeschichte schon infrage? 

Aber, dass es über 4000 Schriftstellerinnen gab! … Diese Zahl muss man sich erst einmal vor dem geistigen Auge entstehen lassen: Mein geistiges Auge produziert dabei zunächst raschelnde Reifröcke und zu enge Korsetts, bevor sich endlich der zugeschnittene Gänsefederkiel zeigt, der tausende und abertausende Bücher mit weiblicher Hand produziert. 

Obwohl die Feminismus- und Genderforschung der vergangenen 35 – 40 Jahre schon so einige Schriftstellerinnen wieder zutage gefördert und ihre Bedeutung für die Literaturwissenschaft neu definiert hat, haben sich diese Informationen nicht in der Öffentlichkeit verankert. Auch meine Erfahrungen als promovierte Literaturwissenschaftlerin sind so, dass die Fakten um die Kulturleistung von Frauen aus vergangenen Jahrhunderten den Elfenbeinturm kaum verlassen. - Warum eigentlich nicht?

Wann auch immer ich von meiner Sendung im Freundes- und Bekanntenkreis erzähle, beginnt das große Kopfschütteln. - Schriftstellerinnen? 18. und 19. Jahrhundert? Wen soll es da gegeben haben? - Wer kennt heute noch 2, 3, 4 oder gar 5 von diesen Frauen? - Machen Sie mal kurz Pause beim Lesen und zählen Sie selbst durch, wen Sie kennen. - Und? - Kommen Sie auf fünf? - Nicht schummeln!

Die Kulturleistung von Frauen der vergangenen Jahrhunderte aufzuarbeiten wird sicher noch lange dauern. Es geht bei der Frage, warum die Literatur von Frauen nicht tradiert wurde, um komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge. Dabei steht die Dominanz eines über Jahrhunderte patriarchal geprägten deutschsprachigen Kulturraums im Zentrum der Reflexionen: Es geht um den „Wert“ von Frauen, um ihre „Rolle“ in patriarchalischen Gesellschaften und darum, ob ein „weibliches Narrativ“ darin überhaupt gewollt war - oder ist. Die Antwort auf diese Frage war bis vor nicht so langer Zeit noch eindeutig abschlägig, denn die kulturelle Identität eines Vaterlandes kam besser ohne sie aus. Während die Restaurationsbewegung von Monarchisten nach 1815, die darauffolgenden Imperialisten und auch die völkischen Nationalisten im 19. Jahrhundert eine männlich geprägte nationale Identität konstruierten, die sich auch im überlieferten Literaturkanon niederschlug, wurde eine weibliche Stimme darin überflüssig - ja sogar unerwünscht. 

Zum Glück leben wir aber heute in neuen Zeiten mit neuem Gedankengut, die auch die Umgestaltung eines sogenannten Literaturkanons möglich macht. Zu diesem Literaturerbe gehört eben auch die Literatur von Frauen. - Und wenn Sie mögen, dann erzähle ich Ihnen mehr von diesen wunderbaren, historischen Schriftstellerinnen – gemeinsam mit meinen ebenso wunderbaren, heutigen Gastautorinnen.

Hören Sie mir einfach zu!







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