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  • AutorenbildMarith Vinzenz

Louise Brachmann (1777-1822) - Zwischen subversivem Glücksrausch und sapphischem Tod

Mit meiner Gastautorin Anke Gebert besprach ich in meiner Radiosendung (hier nachhören) die Lebensstationen und vor allem die Erzählung Die Künstlerin von Louise Brachmann. Als besagte Erzählung Anfang 1816 in vier Teilen vom 18. bis 25. Januar in der Literaturzeitschrift Der Sammler im Wiener Verlag Anton Strauß erschien, war die Autorin bereits eine etablierte und vielgelesene Schriftstellerin.

Mit der Gewissheit, ihren Leserinnen und Lesern eine weitere Spielart ihrer existenziellen Fragestellungen zumuten zu können, präsentierte sie ihnen die Zutaten idealer Liebe zwischen Mann und Frau:

„Des Glücks, von dem so viel gesprochen und geschrieben wird und das dennoch so Wenige nur kennen.“

Die in der Erzählung beschworene Liebe verspricht und fordert eine bessere Welt und damit explizit einen Lebenssinn, der zugleich die Möglichkeit zu einer „anderen“, sprich egalitären gesellschaftlichen Ordnung eröffnet.

In einer Epoche als Frauen in der Gesellschaft auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter reduziert waren und ihnen sogar eine Seele und somit ihr Menschsein abgesprochen wurde [1], entwickelte die Autorin Louise Brachmann in ihrer Erzählung eine Utopie von der Gleichberechtigung der Geschlechter.[2] Nicht nur das, sie beschrieb eine Frau, die sich als Künstlerin in der öffentlichen Sphäre der Gesellschaft verwirklichte, und einen Mann, der sie mit all ihren „menschlichen“ Eigenschaften und Wünschen bedingungslos dafür liebte. Wie ungeheuer revolutionär und kurios eine solche eigenwillige, berufstätige Frau im öffentlichen Leben des späten 18. Jahrhunderts gewesen ist, können wir uns heute zum Glück nicht mehr so richtig vorstellen. Jedoch hat Brachmann durch persönliche Erfahrungen nur allzu gut gewusst, wie befremdend sie selbst als Schriftstellerin für ihre Zeitgenossen war, und dennoch stellte sie ihre Protagonistin die Künstlerin in den allerschönsten Farben dar. Damit offenbart sie mit ihrer Heldin die beeindruckende Kraft einer Frau, die ihre liebsten Wünsche und kühnsten Träume nicht aufgibt und dafür die Grenzen gesellschaftlicher Normen überschreitet und in der Suche nach sich selbst immer weitergeht.

In ihrer Jugendzeit war Brachmann Zeitzeugin der Französischen Revolution und bis ins Erwachsenenalter wurde ihr Leben von den gewaltigen gesellschaftlichen Umwälzungen, den unromantischen Realitäten der Koalitionskriege und der Befreiungskriege geprägt. In dieser Epoche erlebte sie einerseits ungekannte Möglichkeiten für sich als Frau, aber andererseits auch eine schrittweise Desillusionierung, die Frauen allgemein nach der Zeit der Revolution durch den Frauenrechte beschränkenden Code Napoleon (1807, und Code Civil ab 1804) sowie durch die beginnende Restaurationszeit (ab 1815) durchmachten. Daher ist der obengenannte Topos Liebe bei Brachmann ein Gegenentwurf zu den Schrecken des Krieges, eine Beschwörung des Todes zugunsten einer gleichberechtigten Lebensgemeinschaft von Mann und Frau und des Glücks im Leben.

Louise Brachmanns literarisches Schaffen ist in der Frühromantik verankert und setzt sich neben konkret politischen Kontexten auch kritisch mit der aufklärerisch-vernünftigen Weltauffassung ihrer Zeitgenossen auseinander. Gleichzeitig lotet sie die vorstehende romantische Liebe und die realen Möglichkeiten solcher ursprünglichen Liebe aufs Äußerste aus. Ihre bevorzugten Genres sind dabei Erzählungen, Märchen und Lyrik. Die Übergänge zwischen beiden Genres Märchen und Erzählung sind bei ihr oftmals fließend. Bis heute wird Louise Brachmann wegen ihrer Lyrik und insbesondere aufgrund ihrer Erzählungen, Märchen, Sagen und Legenden geschätzt, die zu Lebzeiten besonders erfolgreich waren. Heutige Literaturwissenschaftlerinnen wie etwa Sigrid Lange oder Shawn Jarvis, die kürzlich eine Märchensammlung deutschsprachiger Autorinnen mit Brachmanns titelgebendem Märchen Im Reich der Wünscheveröffentlichte, sowie die Neuveröffentlichung von Prinzessin Nachtschatten durch den Herausgeber Hans Dietmar Sievers beschäftigen sich mit ihrem ganz eigenem Märchengenre.

Während ihrer Lebenszeit veröffentlichte Louise Brachmann ihre Lyrik und Prosa in allen bedeutenden Literaturzeitschriften und Almanachen - sowie zusätzlich noch 12 Bücher. Posthum wurden aus ihrem Nachlass zwei weitere Anthologien von ihrem guten Freund Karl Schütz herausgegeben. Ihr großer Freundeskreis, zu dem die Autorinnen Helmina de Chézy (1783-1856), Caroline Pichler (1769-1843), Dorothea Schlegel (1764-1839), Benedikte Naubert (1752-1819) und Sophie Mereau-Brentano (1770-1806) sowie Sidonie von Hardenberg und die Autoren Novalis, Schiller, Friedrich und August Schlegel, u. v. a m. gehörten, war entscheidend für ihren Erfolg.

Die Rezeption von Louise Brachmanns Literatur wurde im Nachhinein von einem Narrativ über leidvolle Lebensereignisse, unglückliche Liebesgeschichten und ihrer Todesart überschattet, wie bei kaum einer anderen Schriftstellerin. Ihr Freitod am 17. September 1822, als sie sich in Halle in der Saale ertränkte, trug seither mehr zum überlieferten Bild dieser Schriftstellerin als tragische, liebeskranke „Sappho“ bei, als ihre Literatur es tatsächlich zulässt und verdient.


[1] Siehe Gössmanns Überblick, den die Herausgeberin über die „wissenschaftliche“ Diskussion zum Für- und Wider des Menschseins von Frauen mit Texten vom 16. bis späten 18. Jahrhundert zusammentrug: Gössmann, Elisabeth [Hg.]. Ob die Weiber Menschen seyn, oder nicht? - Archiv für Philosophie und Theologiegeschichtliche Frauenforschung.

Band 4. 2. Ausgabe. München: Iudicium, 1996.

[2] Brachmanns Kollegin und Freundin Sophie Mereau-Brentano hatte 1794 eine vergleichbare Utopie in ihrem Roman Das Blüthenalter der Empfindung entwickelt. Hören Sie die Sendung mit Edith Dühl und Sophie Mereau-Brentano hier nach!





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