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  • AutorenbildMarith Vinzenz

Universalgenie Sophie Albrecht - ODER - Warum werden geniale Frauen "universal" vergessen?


Der zweite Teil der Sendung mit meiner Gastautorin Doris Gercke war der Dichterin, Romanschriftstellerin, Dramatikerin, Philosophin, Herausgeberin, Verlegerin, Schauspielerin, Regisseurin, Intendantin, (…) – oder kurz gesagt: dem Universalgenie Sophie Albrecht (1756-1840) gewidmet. - Wir besprachen ihren frühromantischen Roman Graumännchen oder die Burg Rabenbühl aus dem Jahr 1797.


Sophie Albrecht wurde Anfang Dezember 1756 in Sömmerda in der Nähe von Erfurt in Thüringen geboren. Ihre Mutter war Rebekka, eine geborene von Tüntzel und ihr Vater der Erfurter Medizin- und Philosophieprofessor Paul Baumer. Sie erhielt eine für Mädchen in der Zeit ganz ungewöhnlich akademische Ausbildung und soll unter Anleitung ihres Vaters Medizin studiert haben. Schon frühzeitig entwickelte sich aber ihre stärkere Neigung zur Literatur und Philosophie. Als sie nach dem frühen Tod des Vaters 1771 seinen ehemaligen Medizinstudenten Johann Albrecht heiratete, widmeten sich beide ihrer literarischen Publikationstätigkeit. - Doch zunächst hatten sie zwei Kinder: Charlotte (*1773) und Wilhelm (*1774) - und dann gründeten sie einen Verlag, eine Buchhandlung, eine Leihbibliothek und übernahmen zeitweilig sogar die Herausgabe der „Erfurtischen Gelehrten Zeitung“.

Ab 1781 veröffentlichte Sophie Albrecht jedoch ganz eigenständig ihre Gedicht-Dramen-Prosasammlungen, die ein bemerkenswerter Publikumserfolg wurden und bis 1791 in drei Bänden erschienen. Auch als Romanschriftstellerin war sie zwischen 1782 - 1786 mit der Umarbeitung des Romanstoffs „Aramena“ in die Öffentlichkeit getreten. Darüber hinaus soll sie eine philosophisch-religiöse Studie über die Seelenlehre geschrieben haben, die bis dato leider verschollen ist.

Gleichzeitig hatte sie ihre zweite berufliche Laufbahn als Schauspielerin begonnen und wurde innerhalb kürzester Zeit zu einer der erfolgreichsten Schauspielerinnen mit den höchsten Gagen für eine Frau am „Kurfürstlich Sächsischen Hoftheater“, das saisonbedingt in Dresden, Leipzig und Prag spielte. Albrechts Paraderolle „Luise” aus Schillers „Kabale und Liebe“, die sie seit der Premiere im April 1784 mit grandiosem Erfolg darstellte, führte zur engen Freundschaft mit dem Dramatiker. Aber Albrechts Freundeskreis bestand aus Kulturschaffenden beiderlei Geschlechts und so sind neben Friedrich Schiller, August von Kotzebue, Wolfgang von Goethe und Friedrich Klopstock auch besonders ihre Kolleginnen Wilhelmine von Gersdorf*, Elise von der Recke, Sophie von LaRoche*, Karoline von Humboldt und Elise Bürger* zu nennen. Albrechts Präsenz in der deutschsprachigen Kulturszene des späten 18. Jahrhunderts war durch die vielen Zeitungsartikel über sie als Schauspielerin und Schriftstellerin allgegenwärtig – und ihr Ruhm war gewissermaßen multimedial zugegen.

Auch Sophie Albrechts politischer Beitrag zur deutschen Demokratiebewegung ist bewundernswert, ihre Unterstützung französischer Revolutionsanhänger und ihre Mitgliedschaft in entsprechenden Freimaurerlogen, wie die Literaturwissenschaftlerin Berit C. R. Royer zu berichten weiß.

Ab Mitte der 1790er Jahre verlagerte Albrecht ihren Wirkungskreis nach Hamburg-Altona. Als sie sich während der Höhenflüge ihrer Erfolge, 1797, einem neuen literarischen Genre zugewandt hatte, dem Gothic-Roman, waren gleich zwei davon entstanden: „Legenden / Das höfliche Gespenst / Ida von Duba“ (1797) und „Graumännchen oder die Burg Rabenbühl“ (1799). Dieses Genre kam ursprünglich aus England und wurde dort gerne von Schriftstellerinnen gewählt, etwa von Anne Radcliffe aber auch von Jane Austen.

Im Jahr 1796 hatte Sophie Albrecht gemeinsam mit ihrem Ehemann das Altonaer Nationaltheater an der Palmaille neu eröffnet. Die erste Zeit der gemeinsamen Direktion und Intendanz war ein bemerkenswerter Erfolg und eine große Konkurrenz für die Theater in Hamburg - aber - schon bald erwies sich der Aufwand als zu kostspielig. Letztendlich mussten sie das Unternehmen wieder aufgeben: Schulden hatten sich aufgetürmt und das einstmals große Vermögen der Sophie Albrecht begann bis ins Jahr 1814 stetig abzunehmen.

Die französische Besatzung in Norddeutschland bis zum Abzug der napoleonischen Truppen aus Hamburg, bei dem der Großteil von Albrechts Besitz geplündert und in Flammen aufgegangen war, markierte ihren persönlichen und nicht nur finanziellen Ruin. Zuletzt starb noch ihr wieder als Arzt praktizierender Ehemann Johann Friedrich Ernst 1814 an Typhus. Von diesen Schicksalsschlägen erholte sie sich persönlich, professionell und finanziell nicht wieder. In den Jahren 1828 und 1832 hatte sie noch einige Gedichte in Zeitschriften veröffentlicht, aber war durch die jahrelangen Entbehrungen bis zu ihrem Tod im November 1840 nicht mehr künstlerisch tätig geworden.

Sophie Albrecht hinterließ ein beeindruckendes Gesamtwerk, das mit zwei Dramen, drei Romanen, drei Gedichtbänden, vielen Prosa- und zusätzlichen Lyrikveröffentlichungen in Zeitschriften bedeutende Meilensteine für die deutschsprachige Literatur setzte. Eine Schriftstellerin, eine Schauspielerin, eine Frau, die im 18. Jahrhundert so unvergleichlich berühmt war, wurde schon im Laufe des 19. Jahrhunderts so gut wie vergessen. -

Das universale Vergessen weiblicher Kulturleistung zwingt geradewegs zu einer Analyse der Strukturen von Kanonbildung und Literaturgeschichtsschreibung: Welche Gesellschaftsgruppen tradier(t)en wen und warum? -

Um also den Mechanismen in der androzentrischen Kanonbildung entgegenzuwirken, und nicht der Täuschung der dort reproduzierten Geschlechterstereotypen zu erliegen, soll in meiner Sendung dem kollektiven Gedächtnis eine kleine - aber hoffentlich nachhaltige - Erinnerungshilfe über weibliche Kulturleistung vergangener Jahrhunderte vermittelt werden.

Sofern Sie auch nicht länger auf literarische Genüsse von Frauen warten wollen, dann klicken Sie hier, zum Nachhören der Sendung mit Doris Gercke & Sophie Albrecht (ab Minute 31).




* siehe meine „Galerie“ auf dieser Webseite für mehr Informationen zu den Schriftstellerinnen Wilhelmine von Gersdorf, Sophie von LaRoche und Elise Bürger.






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